Hier findet ihr:
Ein PDF des Programmheftes mit Einblicken in die Bildwelt der Suche
Herangehensweisen, Überlegungen im Prozess.
Quellenangaben zur Recherche im Vorfeld
Ein kleines Glossar zur Suche nach „Löchern durchs Jetzt“
Programmheft
Diese künstlerische Arbeit umkreist hartnäckig flüchtige Momente wie Flashes, Flows, das LOS_lassen, den Moment, das Jetzt und das Fixieren und Festhalten der Momente mit flüchtiger ephemerer Qualität.
MIT DABEI: Chris Regen, Ermis Paravalos, Toni, Elisabeth Nold Schwartz, Samuel Herzog, der die das Friseur, Manuel Hollinger, Piero Good
Hintergründe zu den Partizipanten sind auf der Seite Netzwerk.
Auszüge aus Dialogen während Begegnungen
«Wenn ich es philosophisch ausdrücken will, könnte ich vielleicht sagen, man gibt dem Anderen Raum sich zu ereignen und ist dann selbst nicht mehr. Man wird Raum, dieser Raum ist gleichzeitig ALLES…Es ist sowas wie die Bereitschaft sich selbst aufs Spiel zu setzten»
Elisabeth Nold Schwartz am 11. Februar 2022, 47°02’45.9″N 8°19’19.1″E
«Das Defizit gehört zur Gegenwart und eine Gegenwart ohne Defizit wäre sträflich langwellig. Dementsprechend ist es bei mir, wenn ich koche, kein utopischer Moment, sondern einer der individuellen Anarchie…»
Samuel Herzog am 10. Februar 2022, 47°21’03.4″N 8°33’50.5″E
«Mmm… ich glaube mein Denken ist sehr reduziert und einfacher, wenn ich am Fischen bin. Nicht so komplex weniger auf verschiedenen Ebenen, ich Fische wegen dem Fischen nicht wegen dem Denken… »
Piero Good am 12. Dezember 2021, 46°56’59.9″N 7°27’00.4″E
Glossar und Wortrudel
Der MIKRO_OUtopische_MOMENT_das LOCH_ durchs JETZT_ im ZUSAMMENSEIN
Mikro:
Ich suche im Kleinen und direkten Umfeld flüchtiges Kleines, das sich im Affekt und im Moment zeigen kann. Ich frage mich dabei, hat diese Suche im Kleinen Relevanz für die Veränderung der Gegenwart? Sind Mikro und Makro getrennte Sozialbereiche?
Bei genauer und geduldiger Betrachtung ist das „Mikro“ gut ersichtlich. Makro existiert aus meiner Sicht, weder über noch unter, noch jenseits von Interaktionen, sondern ist eine weitere, in der Handlungsgegenwart wirkende Verbindung.[1]
[1] Das Oligoptikum Latours
Die Mikroebene, wo das Kleinste das Große hält. Oligoptikum kann heißen, wir sehen zu wenig, um uns dem Größenwahn des Inspektors, oder der Paranoia des Kontrollierten zu nähern. Aber was wir sehen, sehen wir sehr gut![2]
[1] und [2] Latour, Bruno. Reassembling the Social. An Introduction to Actor-Network-Theory. OUP Oxford, 2005. p. 181
OU_topisch:
WARUM nicht utopisch?
In Abensour Miguel Text [3] hören wir seine Faszination für die Beweglichkeit des Gedankens und Begriffs von Thomas Morus…
Utopia, sei dieser spielerische Name und die Frucht Morus. Ein Wort von epigrammatischer Genialität, ständig oszillierend zwischen «eu» und «ou». Also zwischen dem Ort der Glückseligkeit; eutopia und dem Nirgendwo; dem ou-topos.
Mit „OU“ und dem „outopischen“ halte ich mich näher dem altgriechischen Wortursprung ou-topos. Dem WEDER-NOCH Ort. Dem „mikro-outopische Moment“ versuche ich frei vom sozialphilosophischen und philosophiegeschichtlichen Diskurs zu begegnen. Es liegt aus meiner Sicht im Dazwischen, mitten im Durchbruch und bleibt in Bewegung.
Auf Distanz zu Morus Utopia dem Ort der Verbesserung. Um im Sinne des WEDER-NOCH Ort, weniger den Gedanken hervorzubringen, dass wir konstant in einer defizitären Gegenwart leben.
[3] Abensour, Miguel. (20. August 2008) Persistent Utopia, Constellations Vol. 15, No. 3: 406-421
Der Moment:
Der Moment ist die Klammer, welche das Loch, das Jetzt, die Menschen und ihre Körper in ihrer Präsenz einschliesst. Der Moment ist eine Zeitlichkeit, welche ich vereinzelt erfassen kann. Es ist auch der Moment, im Sinne von „Teil von etwas Sein“. Dort trägt und ermöglicht der Moment den Ort zwischen den Körpern und im Körper selbst, der im Zusammensein entstehen kann.
Das Loch:
Durch das Loch hindurch werden die Gedanken umgewandelt und können sich fortan als outopisches Denken und Empfinden freisetzen. Das Loch ist Verbindung. Im Loch liegt ein Durchbruch. Durchbruch ist im Ursprung winzig. Das Loch ist Magie und möglicherweise verwandt mit dem Regenbogen nur durchsichtig.
Das Jetzt:
Das Jetzt (hier bewusst grossgeschrieben) ist kleinste mögliche Einheit eines Moments. Anker der physischen Präsenz, des „im Jetzt sein“, steht gleichzeitig für Flüchtigkeit. Die kleine Einheit Zeit, wo wir beginnen, der Quantenphysik zu begegnen und Philosoph*innen ihr Sein oder Nichtsein diskutieren. So etwas wie die Halbsekunde im Dazwischen, die entsteht, bis wir wissen, dass gerade „Jetzt“ war.
im Zusammensein:
Das waren sieben Treffen mit verschiedenen Menschen/ Gruppen während vier Monaten. Die mit einem persönlichen Brief angefragten Personen erklären sich einverstanden, eine von ihnen ausgesuchte Handlung mit mir zu teilen.
Bei den Begegnungen bin ich ein feinfühliges Rezeptionsmonster, ein flauschiger kleiner Spürhund, der versucht herauszufinden, wann und wo sich gerade jetzt, ein Loch aufgetan hat und ob es auf Bild- oder Tonebene festgehalten werden kann.
Es fühlt sich an, wie ein langer Flug mitten in einem kollektiven Experiment der Achtsamkeit: Auf DAS, was zwischen uns entsteht.
Die Wahrscheinlichkeit:
Die Wahrscheinlichkeit, einen Fisch zu fangen oder die Wahrscheinlichkeit eine Frisur zu schneiden, welche sich dann mit der Träger*in vereinen kann, nährt die Neugierde im Vorfeld. Die Wahrscheinlichkeit dem Gast das Gekochte zum Kosten zu geben und die Reaktion darauf im Gesicht und am Körper abzulesen. Mir ist aufgefallen, die Wahrscheinlichkeit ist relevanter Faktor für einige meiner Gegenüber, damit der „mikro- outopische Moment“ bei ihnen entstehen kann. Das führt mich zurück zum „in between us“, dem Zwischenraum, der sich auftut zwischen dem Menschen in seiner Handlung und dem Gegenüber im Moment des gleichzeitigen „Präsentseins“. Das Gegenüber kann dabei ein Fisch, ein Gast oder das Haar des Klienten sein. Dieser Zwischenraum ist elementarer Teil eines möglichen Lochs durchs Jetzt, wie Säure welche ein Loch frisst, angereichert mit Wahrscheinlichkeit.
Kleine Geräusche sind grosse Indikatoren
Das Audiofeature ist eine bewusst gewählte Form, um die Vielfalt der Erscheinungen der verschiedenen erlebten outopischen Momente und die Lebendigkeit der Inhalte erlebbar weiterzugeben. Durch die Klänge der Stimmen und Orte werden Farben und Stimmungen unmittelbarer transportiert. Es sind kleine Reaktionen, wie ein Lachen, ein Seufzen, ein Stocken beim Atmen, gleichzeitig mit ungewohnten Geräuschen aus der Umgebung, welche uns den flüchtigen Moment andeuten.
Anfragebrief an Chris Regn
Gleichgewichtung von Erfahrungen
Dieses handlungsbasierte Format dieser Suche macht es mir möglich, theoretische Überlegungen mit empirischen und praktischen Erfahrungen zu verbinden und kann als eine künstlerische, materialoffene, explorative und partizipative Suche bezeichnet werden. Aufbauend auf künstlerischer Forschung wird der Output bewusst nicht schriftlich weitergegeben, auch mit dem Ziel, die radikale Gleichgewichtung von Erfahrungen zur eigenen und geteilten Wissensproduktion zu stärken.
Zentrale Themen der Forschungsarbeit sind der Affekt (vgl. Angerer 2017), philosophische Überlegungen (vgl. Nancy 2017, Bataille 2017) aktuelle kunstwissenschaftliche Theorien zu performativen Vorgehensweisen (vgl. Heathfield 2005) und Positionen des Ecocriticism, wie Karan Barad (vgl. Brown/Siegel/Blom 2020) , Bruno Latour (vgl. Latour 2009) oder Donna Haraway (vgl. Haraway 1988), welche neue Formen der Wissensproduktion ansprechen.
Bild, zur radikale Gleichwertigkeit von Erfahrungen. Eine Zeichnung: von Lena Eriksson und Chris Regen für das Projekt, BANG BANG/ translocal hi:stories of performance art, zur Zeichnerin: ttps://lena-eriksson.ch/
Text von Donna Haraway zu neuen Formen der Wissensproduktion
Literaturliste
Bücher
- Ernst Bloch, Geist der Utopie: Erste Fassung (1. Aufl.), Berlin 2018
- J.Badura & A.Rey & S. Dubach & A. Haarmann & D. Mersch & C. Schenker & G. Toro Pérez, Künstlerische Forschung: Ein Handbuch. Zürich-Berlin 2015
- George Bataille, Die innere Erfahrung (G. Bergfleth, Übers.; 1. Aufl.), Berlin 2017
- Sophia Firgau, Das emanzipatorische Potenzial der Performance Art, Stuttgart 2020
- Heiner Geißler, Ou Topos: Suche nach dem Ort, den es geben müßte (7. Aufl.), Hamburg 2010
- Pamela Geldmacher, Re-Writing Avantgarde: Fortschritt/ Utopie/ Kollektiv und Partizipation in der Performance-Kunst (1. Aufl.), Bielefeld 2015
- Adrian Heathfield, Live: Art and Performance, New York 2005
- Rahel Jaeggi, Entfremdung: Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems (1. Aufl.), Frankfurt am Main 2016
- Jana Klusakova & Katerina Seda, For every dog a different master, Zurich 2008
- Bruno Latour, Das Parlament der Dinge: Für eine politische Ökologie (G. Roßler, Übers.; 4. Aufl.), Berlin 2009
- Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft (G. Roßler, Übers.; 4. Aufl.), Berlin 2010
- Bruno Latour, Wo bin ich? Lektionen aus dem Lockdown, Berlin 2021
- Sebastian Mühl, Utopien der Gegenwartskunst: Geschichte und Kritik des utopischen Denkens in der Kunst nach 1989, Bielefeld 2020
- Jean Luc Nancy, Ausdehnung der Seele: Texte zu Körper, Kunst und Tanz (M. Fischer, Übers.), Zürich/ Berlin 2017
- Harmut Rosa, Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung (1. Aufl.), Berlin 2016
- Reiner Ruffing, Bruno Latour, Stuttgart 2009
- Michel Serres & Bruno Latour, Aufklärungen: Gespräche mit Bruno Latour (G. Rossler, Übers.), Berlin 2008
- Anna Lowenhaupt Tsing, Der Pilz am Ende der Welt: Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus (D. Höfer, Übers.; 1. Aufl.), Berlin 2018
- Annina Zimmermann unter Mitarbeit von Andrea Seamann, Helle Nächte: die Vorstadt im Projektionsfeld filmischer Bilder, Basel 2002,
- https://www.artlog.net/de/kunstbulletin-9-2001/helle-naechte
Texte
- Miguel Abensour, Persistent Utopia, Constellations Vol. 15, No. 3: 406-421, Oxford 2008
- Marie-Luise Angerer, Affektökologie: Intensive Milieus und zufällige Begegnungen,
- Lüneburg 2017 https://library.oapen.org/bitstream/handle/20.500.12657/37562/978-3-95796-091-7_Angerer_de.pdf?sequence=1&isAllowed=y
- Nina Baur & Jörg Blasius, Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung (2. Aufl.), Wiesbaden 2019
- Ana Biresev, Political ecology of Bruno Latour, Belgrade 2012
- Shae L. Brown & Lisa Siegel & Simon M. Blom, Entanglements of matter and meaning: The importance of the philosophy of Karen Barad for environmental education, New South Wales (first published online 22 January 2020) https://www.academia.edu/78154435/Entanglements_of_matter_and_meaning_The_importance_of_the_philosophy_of_Karen_Barad_for_environmental_education
- Julia Bulk, Neue Orte der Utopie: Zur Produktion von Möglichkeitsräumen bei zeitgenössischen Künstlergruppen, Bielefeld 2017
- Adrian Heathfield, The ghost time of transformation: In Artists in the Archive, London 2018
- Donna Haraway, Situated knowledges: The science question in feminism and the privilege of partial perspective, Feminist Studies: FS, 14(3), pp. 575-599, Maryland 1988
- Wolfgang Höhl, Kunst EINSICHT Nr. 17. ou-topos: ein Ausstellungskatalog für eine Ausstellung, die nie stattfand, Berlin 2020 (Nov. 2.) https://www.epubli.de/preview/56470
- Ken Hiltner, Ecocriticism: The essential reader, London 2014
- Sigrid Adorf & Noemi Stähli & Julia Wolf, Editorial #1, 2021. Zonen der Gegenwart – Praktiken der Annäherung. (IFCAR) Zürcher Hochschule. https://backend.insert.art/ausgaben/zonen-der-gegenwart-praktiken-der-annaeherung/editorial/
- Rahel Jaeggi, Aneignung braucht Fremdheit, Texte zur Kunst. Abgerufen 26. Mai 2022, https://www.textezurkunst.de/46/aneignung-braucht-fremdheit/
- Bruno Latour, Reassembling the Social: An Introduction to Actor-Network-Theory, Oxford 2005 https://sociologiavietiicotidiene.ro/texte/latour-bruno-reassembling-the-social.pdf
- Irene Schütze, Zur Abwesenheit „großer“ Utopien: Subjektiv-pragmatische Utopie-Entwürfe in der zeitgenössischen Kunst, in: kunsttexte.de Nr. 3 2016. https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/8138/schuetze.pdf
- Andreas Ziemann, Die Wiederkehr der Dinge: Latours Neubegründung des Sozialen? (Hg.) Friedrich Balke, Maria Muhle, Antonia von Schöning. Berlin 2011 https://www.uni-weimar.de/fileadmin/user/fak/medien/professuren/Mediensoziologie/Texte/Ziemann/Ziemann_2011_Latour.pdf